Populist [1994]

Es wurde dunkel.
Der Mann läuft den langen Gang entlang, neben ihm die Leichen des letzten Krieges.
Sicherheit bestimmt seinen Gang, so als käme er von einer Katharsis zurück; als hätte er den kompletten Axel Springer Verlag mit der Herausgabe einer kommunistischen Zeitung ausradiert…
Heus, der gute alte Heus.
Er steht hinter einer Mauer, sein Gesicht gleicht einer Collage aus allen Wiedrigkeiten dieser Erde. nackt, nur mit einer Blumenunterhose bekleidet, berichtet er von seinem neusten Backrezept, was er unbedingt ausprobieren wollte.
Der braune Mantel von unserem Mann weist Flecken auf, Tintenflecken aus einem verwischten Jahrhundert.
Endlich bemerkt man sein Notebook, das er geschickt halb verdeckt vor seinem Mantel bei sich trägt. Das kühle Licht des LCD-Displays wird refelktiert von den schweißnaßgebadeten Wänden des Dungeons.
Fauch, Kreisch, der Boden vibriert, alle Urgewalt der Hälle bricht los, nach Jahrhunderten des verdecktens Arbeitens bei den Nazis, unter Stalin, und bei den Amis, bei den Spaniern, bei Christoph Columbus ist es endlich wieder frei, es bedarf keiner Personalisierung mehr.
Im Vorbeifliegen ein schwarzer Engel – “After all, who killed the Kennedys? In the End, it was you and me” – schreit er in die Düsterkeit.
Ganz hinten geht eine Tür auf, durch die treten Mao, Ho-Chi-Minh und Robert Mc. Namara, alle tragen Sie eine Maschinenpistole. Plötzlich zerschneidet lautes Knattern die Nacht. Die drei feuern Ihre Magazine auf sich los, lachen laut. Mao packt eine Flasche Tequilla aus, und der Ami und der Vietnamese saufen, was das Zeug hält.
Der Mann geht weiter. Sachlich, berechnend kommt er an Hungernden vorbei, die Ihre Hände aufhalten und statt nach Essen nach philosophischen Ratschlägen fragen. Der Mann geht weiter. Auf einmal dreht sich der Gang in allen Dimensionsen, er wird geschüttelt wie ein James-Bond-Martini.
Die Wände bersten, der Mann lacht. Er lacht und lacht und lacht. Er schreit förmlich. Vorher erwürgt er aber noch schnell die schwarze Amsel, die es wagte, ihn im Vorbeifliegen anzusehen – Sehen ist ein Verbrechen!
“Selig, die nicht sehen, aber dennoch glauben”, sagte der Schreiner.
Das Schwarz öffnet sich, der Mann fällt und fällt nach oben, bis er in Wolkenhöhe ist. Er wird viel dicker – sein Mantel fällt ab wie eine alte Schlangenhaut, Metarmophose ^ 3. Aus seinem Notebook wird eine blaue Kravatte, die er sich eilig um den Hals bindet, aus dem Hintergrund tönen väterliche Stimmen, die ihm Ratschläge geben. Er nickt, ein Lächeln erscheint auf seinem Gesicht – der Fall hört auf.

Der Mann steht in dem Garten seines Hauses in München, soeben ist der Wagen vorgefahren, der ihn zur nächsten Wahlveranstaltung brigt.
“Kommen Sie, Herr Schönhuber, das Wahlvolk wartete auf uns”, sagt der Chauffeur des Mercedes 500SL. Der Mann steigt in das Auto und fährt zu seiner Wahlkampfveranstaltung nach Nürnberg. Vor seinem Grundstück warten schon Vertreter der autonomen Szene, die ihn freudigst mit Steinen empfangen. Die Bayerische Staatspolizei hat aber zum Glück wieder einmal alles im Griff!

Foto: Pixabay

Kai

About the author

Geboren 1971 in Gießen / Hessen, Lyrik-Autor